Als Charles Darwins Tochter Anne Elizabeth („Annie“, Foto 1) im Alter von 10 Jahren am 23. April 1851 starb, waren ihre Eltern am Boden zerstört. Charles Darwin war ein hingebungsvoller Vater, der sich ständig um die Gesundheit seiner 10 Kinder sorgte. Seine Besorgnis war auch durch die Angst vor den Folgen einer Heirat zwischen Verwandten begründet: Emma Wedgewood, seine Frau, war auch seine Cousine ersten Grades.1 Die möglichen negativen Auswirkungen einer Blutsverwandtschaft, die in England zu dieser Zeit nicht unüblich war, waren Gegenstand von Diskussionen. Annies Tod und Experimente zur Selbstbefruchtung von Pflanzen ließen ihn vermuten, dass „Ehen zwischen nahen Verwandten ebenfalls schädlich sind“.2 1870 regte Darwin seinen Sohn George, einen Mathematiker, dazu an, die Häufigkeit von Ehen zwischen nahen Verwandten bei Patienten in Irrenhäusern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zu untersuchen. Die Studie, die in dieser Ausgabe der Zeitschrift3 mit mehreren Kommentaren1,2,4,5 abgedruckt ist, wurde erstmals 1875 veröffentlicht und kam zu dem Schluss, dass „das Übel oft stark übertrieben wurde“ und dass „unter günstigen Lebensbedingungen die offensichtlichen negativen Auswirkungen häufig fast gleich Null waren“.3
Daguerreotypie-Fotografie von Anne Elizabeth („Annie“) Darwin 1849. Annie Darwin starb 1851, wahrscheinlich an Tuberkulose. © English Heritage Photo Library. Reproduziert mit Genehmigung
Daguerreotypie von Anne Elizabeth (‚Annie‘) Darwin 1849. Annie Darwin starb 1851, wahrscheinlich an Tuberkulose. © English Heritage Photo Library. Reproduziert mit Genehmigung
In der Tat starb Annie nach einer langwierigen Krankheit, höchstwahrscheinlich an Tuberkulose (TB), verursacht durch Mycobacterium tuberculosis,6 und nicht an den Folgen eines hohen Inzuchtkoeffizienten (der F-Koeffizient, der in einem Kommentar2 erwähnt wird). Bemerkenswert ist, dass Darwin zwar die Studien seiner Zeitgenossen Pasteur und Koch kannte, aber die Rolle von Mikroben und Infektionskrankheiten in seinem Werk nicht berücksichtigte.7 M. tuberculosis wäre jedoch sicherlich von Interesse gewesen. Dieser obligate menschliche Krankheitserreger hat sich seit Jahrtausenden mit dem Menschen entwickelt8 und war äußerst erfolgreich: Heute ist schätzungsweise ein Drittel der Weltbevölkerung infiziert, und jedes Jahr sterben 1,7 Millionen Menschen an Tuberkulose, mehr als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.9,10 Die gleichzeitige Infektion mit HIV ist ein wichtiger Risikofaktor für Tuberkulose, der das Lebenszeitrisiko für den Übergang von einer Infektion zu einer aktiven Erkrankung von 5 % pro Leben auf 5 % pro Jahr erhöht,11 was insbesondere in Afrika südlich der Sahara ein Problem darstellt. Darüber hinaus droht das Auftreten von Bakterienstämmen, die gegen die meisten aktuellen antimikrobiellen Medikamente resistent sind, TB unbehandelbar zu machen.9 Edmonds und Kollegen12 dokumentieren in dieser Ausgabe die erschütternd hohe Inzidenz von TB bei HIV-infizierten Kindern in Kinshasa, Demokratische Republik Kongo: 20,4 pro 100 Personenjahre. Durch die antiretrovirale Therapie konnte die Tuberkulose-Inzidenz halbiert werden, aber wie Boulle und Eley in ihrem Kommentar betonen,13 sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Tuberkulose in dieser Bevölkerungsgruppe zu kontrollieren, einschließlich Bemühungen zur Verbesserung der Tuberkulose-Diagnose bei Kindern, die mit HIV koinfiziert sind.
Darwin würde das natürlich verstehen: Die Evolutionstheorie, die er in seinem bahnbrechenden Werk Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf ums Leben darlegte, ist auch „die moderne Geschichte der Tuberkulose“.14 Das jüngste Auftreten von HIV und die Einführung wirksamer Medikamente stellen einen Selektionsdruck dar, dem M. tuberculosis während des größten Teils seiner Evolutionsgeschichte nicht ausgesetzt war. Als eine Folge des weit verbreiteten (und nicht immer gut überwachten) Einsatzes von Medikamenten haben sich resistente Stämme entwickelt. Viele arzneimittelresistente Mutationen in M. tuberculosis führen zu einer Verringerung der bakteriellen Fitness, obwohl eine kompensatorische Evolution Fitnessdefekte abmildern kann.15 In HIV-infizierten, immungeschwächten Wirten könnten sich sogar Stämme mit kostspieligen Resistenzmutationen effizient vermehren, was erklären könnte, warum arzneimittelresistente Tuberkulose mit einer HIV-Koinfektion in Verbindung gebracht wird.16,17 Tuberkulosepatienten könnten somit als „Brutstätte“ für hoch kompensierte arzneimittelresistente Stämme dienen, die sich in der Allgemeinbevölkerung stärker ausbreiten können. Bislang hat sich noch keine Studie mit dieser beunruhigenden Möglichkeit befasst. Es hat sich gezeigt, dass auch der genetische Hintergrund des Stammes die Fitness von arzneimittelresistenten M. tuberculosis beeinflusst. So wurde beispielsweise die Peking-Linie mit Medikamentenresistenz in Verbindung gebracht18 , was darauf hindeutet, dass diese Linie möglicherweise an die Resistenz „voradaptiert“ ist. Wichtig ist, dass die Peking-Linie auch mit HIV in Verbindung gebracht wurde19,20 und jetzt in Südafrika auftaucht, wahrscheinlich als Folge der HIV-Epidemie.21,22
Die Genomik, die Erforschung der Genome von Organismen, wird für die Epidemiologie und Kontrolle übertragbarer Krankheiten immer wichtiger. Infektionskrankheiten sind das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen Mikroben, Wirt und Umwelt, die evolutionärem Druck und ökologischen Veränderungen unterworfen sind (Abbildung 1). Genetische und immunologische Studien können grundlegende Fragen zur Interaktion zwischen Wirt und Erreger, zur Pathogenese, zur genetischen Anfälligkeit des Wirts und zu den Faktoren, die das Ansprechen auf die Behandlung und die Prognose beeinflussen, beantworten.23 Der Mensch zeigt bemerkenswerte Unterschiede in seiner Reaktion auf Infektionserreger. So erklären beispielsweise bestimmte menschliche Genpolymorphismen einen Teil der Unterschiede zwischen Individuen, die sich in ihrer Fähigkeit, eine HIV-Infektion zu kontrollieren, unterscheiden.24,25 Neben der genetischen Vielfalt des Wirts kann auch die genetische Variation innerhalb bestimmter mikrobieller Spezies den Ausgang von Infektion und Krankheit beeinflussen. Bei M. tuberculosis zum Beispiel zeigte eine neuere Studie, dass die Rate der Progression zu aktiver TB von der bakteriellen Linie abhängt.26 Andere Studien zeigten, dass M. tuberculosis-Linien mit verschiedenen klinischen Manifestationen von TB in Verbindung stehen.27,28
Ein ’systemepidemiologischer‘ Ansatz für Tuberkulose, der Demographie, Ökologie und Systembiologie integriert. Bildnachweis: Zeichnung aus Koch R. Die Aetiologie der Tuberkulose. Berliner Klinische Wochenschrift, 1882; Dens of Death. Fotografie aus Riis JA. Der Kampf mit dem Slum. New York: MacMillan Company, 1902; Zeichnung eines Mannes mit Tuberkulose (Quelle unbekannt).
Ein „systemepidemiologischer“ Ansatz zur Tuberkulose, der Demographie, Ökologie und Systembiologie integriert. Bildnachweis: Zeichnung aus Koch R. Die Aetiologie der Tuberkulose. Berliner Klinische Wochenschrift, 1882; Dens of Death. Fotografie aus Riis JA. Der Kampf mit dem Slum. New York: MacMillan Company, 1902; Zeichnung eines Mannes mit Tuberkulose (Quelle unbekannt).
Sowohl die jüngsten Veränderungen im menschlichen Wirt (z.B. das Auftreten von HIV) als auch im Bakterium (z.B. das Auftreten von Arzneimittelresistenzen) werden die evolutionäre Entwicklung von M. tuberculosis beeinflussen. Wir brauchen dringend ein besseres Verständnis der genetischen Vielfalt und der Evolution von M. tuberculosis sowie der epidemiologischen und klinischen Folgen. Wie wirkt sich die Koinfektion auf die genetische Populationsstruktur und die Entwicklung von M. tuberculosis in Afrika südlich der Sahara aus? Was sind die klinischen und epidemiologischen Auswirkungen dieser Effekte? Beeinflusst eine HIV-Koinfektion die Häufigkeit und Verteilung von Mutationen in M. tuberculosis, die eine antimikrobielle Resistenz bewirken? Unterscheiden sich die klinischen Korrelate der genetischen Vielfalt von M. tuberculosis und die Übertragungsdynamik von M. tuberculosis je nach HIV-Status und Grad der HIV-induzierten Immunschwäche?
Für ein besseres Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen genetisch vielfältigen Wirten und Krankheitserregern in sich verändernden Umgebungen sind neue multidisziplinäre Ansätze erforderlich. Besonders vielversprechend ist die Integration der Systembiologie mit den Bevölkerungswissenschaften und der Ökologie, die man als „Systemepidemiologie“ bezeichnen könnte (Abbildung 1).29 Dabei werden genomische und evolutionäre Analysen des Wirts und des Erregers mit Immunologie, molekularer und klinischer Epidemiologie und mathematischer Modellierung kombiniert. Die „Darwinsche Medizin“, bei der Evolutionsbiologie und Biomedizin zusammenwirken, um unser Verständnis sowohl biologischer als auch evolutionärer Prozesse zu verbessern, ist Teil dieses Konzepts.30 Wenn ein solcher integrierter Ansatz erfolgreich ist, wird er die Entwicklung neuer Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe unterstützen und künftige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit anleiten. Auch wenn Charles Darwin die Bedeutung infektiöser Mikroben zu seiner Zeit nicht in vollem Umfang erkannt haben mag, wird sein Vermächtnis eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Herausforderungen wie der doppelten Epidemie von HIV und TB spielen.
Interessenkonflikt: Keine erklärt.
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
.
,
,
, Bd.
(Sg.
–
)
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
. ,
,
.
,
,
, Bd.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
pg.
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
,
,
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
.
,
,
, Bd.
(pg.
–
)
,
,
,
,
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
,
, et al.
,
,
,
,
, et al.
,
,
, vol.
pg.
,
,
, et al.
,
,
, vol.
(pg.
–
)
,
.
,
,
, vol.
pg.
,
.
,
,
, vol.
pg.