Er hatte nur ein paar Hits in den 1950er und frühen 60er Jahren, aber wie Bo Diddley sang: „You Can’t Judge a Book by Its Cover“. Man kann einen Künstler auch nicht nach seinem Erfolg in den Charts beurteilen, und Diddley produzierte größere und einflussreichere Musik als alle außer einer Handvoll der besten frühen Rocker. Der Beat von Bo Diddley – bomp, ba-bomp-bomp, bomp-bomp – ist einer der Grundrhythmen des Rock & Roll, der in den Werken von Buddy Holly, den Rolling Stones und sogar in Pop-Garagen-Kopien wie dem 1965er Hit „I Want Candy“ der Strangeloves auftaucht. Diddleys hypnotische rhythmische Attacke und sein deklamatorischer, prahlerischer Gesang reichten in ihren Wurzeln bis nach Afrika zurück und blickten so weit in die Zukunft wie der Rap. Sein Markenzeichen, der vibrierende, unscharfe Gitarrenstil, trug viel dazu bei, die Kraft und Bandbreite des Instruments zu erweitern. Aber noch wichtiger war, dass Bo’s Bounce Spaß machte und unwiderstehlich rockte, mit einem witzigen, scherzhaften Ton, der den Rock & Roll in seiner humorvollsten und freiesten Form verkörperte.
Bevor er sich dem Blues und dem R&B zuwandte, hatte Diddley klassische Geige studiert, wechselte aber das Fach, nachdem er John Lee Hooker gehört hatte. In den frühen 50er Jahren begann er, mit seinem langjährigen Partner, dem Maraca-Spieler Jerome Green, zu spielen, um das zu erreichen, was Bo’s „diesen Güterzug-Sound“ nennt. Billy Boy Arnold, ein hervorragender Blues-Mundharmonikaspieler und -sänger, spielte ebenfalls mit Diddley, als der Gitarrist Mitte der 50er Jahre einen Vertrag mit Chess bekam (nachdem er von dem rivalisierenden Chicagoer Label Vee-Jay abgelehnt worden war). Seine allererste Single, „Bo Diddley“/“I’m a Man“ (1955), war ein doppelseitiges Monstrum. Die A-Seite war durchtränkt von futuristischen Tremolo-Gitarrenwellen zu einem zeitlosen Kinderlied; die B-Seite war ein von Mundharmonikas getragener Shuffle, der auf einem verheerenden Blues-Riff basierte. Aber das Ergebnis war nicht gerade Blues oder gar R&B, sondern eine neue Art von gitarrenbasiertem Rock &Roll, getränkt in Blues und R&B, aber weder dem einen noch dem anderen zugehörig.
Diddley war nie ein Verkaufsschlager in der Größenordnung seines Chess-Rivalen Chuck Berry, aber in den nächsten etwa einem halben Dutzend Jahren produzierte er einen Katalog von Klassikern, die Berrys Qualität in nichts nachstanden. „You Don’t Love Me“, „Diddley Daddy“, „Pretty Thing“, „Diddy Wah Diddy“, „Who Do You Love?“, „Mona“, „Road Runner“, „You Can’t Judge a Book by Its Cover“ – all das sind eiskalte Standards des frühen, riffgetriebenen Rock & Roll in seiner funkigsten Form. Seltsamerweise war sein einziger Top-20-Pop-Hit ein atypischer, absurder Hin-und-Her-Rap zwischen ihm und Jerome Green, „Say Man“, der fast zufällig entstand, als die beiden im Studio herumalberten.
Als Live-Musiker war Diddley eine Wucht, denn er nutzte seine charakteristischen eckigen Gitarren und verzerrten Verstärker, um neue Klänge zu erzeugen, die die Innovationen von Gitarristen der 60er Jahre wie Jimi Hendrix vorwegnahmen. In Großbritannien verehrte man ihn als einen Giganten in der Größenordnung von Chuck Berry und Muddy Waters. Vor allem die Rolling Stones lehnten sich in ihren Anfängen stark an Bo’s Rhythmus und Attitüde an, obwohl sie offiziell nur ein paar seiner Stücke coverten, nämlich „Mona“ und „I’m Alright“. Andere britische R&B-Gruppen wie die Yardbirds, Animals und Pretty Things coverten in ihren frühen Tagen ebenfalls Diddley-Standards. Buddy Holly coverte „Bo Diddley“ und benutzte einen abgewandelten Bo Diddley-Beat in „Not Fade Away“; als die Stones dem Song die volle Bo-Behandlung gaben (komplett mit schüttelnden Maracas), war das Ergebnis ihr erster großer britischer Hit.
Die British Invasion trug dazu bei, dass sich die Öffentlichkeit der Bedeutung Diddleys bewusst wurde, und seither ist er ein beliebter Live-Act. Leider war seine Karriere als Plattenkünstler – in kommerzieller und künstlerischer Hinsicht – zu dem Zeitpunkt vorbei, als die Beatles und die Stones in Amerika auftauchten. Er nahm zwar immer wieder neue Platten auf, aber nach 1963 schrieb und nahm er nie wieder Originalmaterial auf, das seinen frühen Klassikern gleichkam. Es ist schwer zu sagen, ob er die Muse verloren hatte oder sich einfach auf seinen Lorbeeren ausruhen wollte. Aber er bleibt ein wichtiger Teil des kollektiven Rock-& Roll-Bewusstseins und erlangte gelegentlich eine größere Bekanntheit durch eine Tournee mit The Clash im Jahr 1979, eine Cameo-Rolle in dem Film Trading Places, eine Tournee mit Ronnie Wood Ende der 80er Jahre und einen Fernsehwerbespot für Sportschuhe mit dem Starathleten Bo Jackson im Jahr 1989.