Ein 55-jähriger schwarzer Mann stellte sich mit Beschwerden über verschwommenes Sehen in der Ferne und in der Nähe vor. Er berichtete, dass er nur eine rezeptfreie Lesebrille mit einer Stärke von +2,00D trug. Der Patient sagte, die Brille helfe ihm zwar, aber es falle ihm immer noch schwer, zu sehen.
In der Anamnese wurde HIV festgestellt, das 1992 diagnostiziert wurde. Außerdem gab er Bluthochdruck und einen grenzwertig hohen Cholesterinspiegel an. Er kannte weder seine CD4-Zahl noch seine Viruslast, gab aber an, dass er alle drei Monate zu seinem Arzt ging. Er nahm mehrere Medikamente ein, darunter Isentres (Raltegravir, Merck), Prezista (Darunavir, Janssen Therapeutics), Norvir (Ritonavir, Abbott), PhenaTrim (Mittel zur Gewichtsabnahme), Aciclovir und Lisinopril. Er gab keine bekannten Allergien an.
Bei der Untersuchung betrug seine unkorrigierte Sehschärfe 20/200 AD und 20/100 AS. Mit einer Hyperopiekorrektur konnte er 20/20 OS sehen. Das Gesichtsfeld war voll, so dass er vorsichtig mit dem Finger zählen konnte. Die Untersuchung der Augenmotilität war normal. Die Untersuchung des vorderen Augenabschnitts war unauffällig. Der Augeninnendruck betrug 13 mm Hg O.U.
Die Fundusdilatation zeigte einen klaren Glaskörper ohne Zellen sowie mittelgroße Kelche mit guter Randfärbung und Perfusion O.U. Die Gefäße waren von normalem Kaliber und die Makula erschien normal. Wir bemerkten mehrere auffällige Läsionen in jedem Auge (Abbildungen 1 und 2). Zusätzlich führten wir eine Fundusautofluoreszenz durch (Abb. 3 und 4).
Take the Retina Quiz
1. Welche auffälligen Fundusläsionen sind in beiden Augen zu sehen?
a. Choroidale Nävi.
b. Angeborene Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels (CHRPE).
c. Infiltrierendes metastasierendes Karzinom.
d. Primäres malignes Melanom.
1, 2. Fundusaufnahmen unserer Patientin (O.D. links, O.S. rechts). Beachten Sie die auffälligen Läsionen, die über die gesamte Netzhaut verstreut sind. |
2. Welche Bedeutung haben diese Läsionen?
a. Es gibt keine Bedeutung.
b. Diagnostisch für eine metastatische Erkrankung.
c. Diagnostisch für ein primäres Malignom.
d. Marker für intestinale Malignität.
3. Was ist die richtige Diagnose?
a. Multiple choroidale Nävi.
b. Bärenspuren.
c. Multiple CHRPE-Bildung.
d. Gardner-Syndrom.
4. Wie sollte dieser Patient behandelt werden?
a. Beobachtung.
b. Plaque-Strahlentherapie.
c. Überweisung zur Darmkrebsvorsorge.
d. Enukleation.
Antworten siehe unten.
Diskussion
Die multiplen Läsionen in beiden Augen stellen eine Form von CHRPE dar. Eine typische CHRPE ist eine solitäre, runde, flache, gut abgegrenzte, hyperpigmentierte Läsion, die bei der Geburt vorhanden ist.1,2 Ihre Farbe kann von dunkelbraun oder schwarz bis grau variieren, und innerhalb der Läsion können Lakunen vorhanden sein.
CHRPE sind gutartige Läsionen, die in der Regel als Zufallsbefund bei einer routinemäßigen Augenuntersuchung entdeckt werden. Es gibt jedoch verschiedene Formen von CHRPE.
3, 4. Die Fundusautofluoreszenz zeigt das Vorhandensein multipler pigmentierter Läsionen (O.D. links, O.S. rechts). |
Eine besonders interessante CHRPE-Variante tritt in Form von Clustern oder Gruppen von Läsionen auf, wie bei unserem Patienten. Mit ein wenig Phantasie kann man sich vorstellen, dass die pigmentierten Läsionen wie die Pfotenabdrücke eines Tieres aussehen, das auf der Netzhaut herumgelaufen ist. Aus diesem Grund werden diese Läsionen auch als „Bärenspuren“ bezeichnet.
Bärenspuren sind angeborene Anomalien, die durch kleine, scharf umschriebene, unterschiedlich große Pigmentflecken gekennzeichnet sind. Sie sind oft in einem Sektor des Augenhintergrundes gruppiert. Bei unserem Patienten befanden sie sich überwiegend in der nasalen Netzhaut, inferior im rechten Auge und superior im linken.
Die Bärenspuren sind in der Fundusautofluoreszenz wesentlich deutlicher zu erkennen, wo die Hyperpigmentierung deutliche Blockierungen verursacht.
Es hat eine Debatte über die Unterschiede zwischen CHRPE und Bärenspuren gegeben, da beide Formen eine ähnliche Histopathologie aufweisen. Es wurde sogar behauptet, dass es sich bei CHRPE und Bärenspuren um verschiedene Ausprägungen derselben Erkrankung handelt.2 Es gibt jedoch ultrastrukturelle Unterschiede zwischen den beiden Entitäten. Zum Beispiel sind Bärenspuren elliptischer als CHRPE. Außerdem ist bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung die Hypertrophie und Hyperplasie der RPE-Zellen kein signifikantes Merkmal bei Patienten mit Bärenspuren.2
Das Vorhandensein multipler CHRPE-Läsionen in beiden Augen sollte Anlass zur Sorge um das Gardner-Syndrom geben. Das Gardner-Syndrom, auch bekannt als familiäre kolorektale Polyposis, ist eine autosomal dominante Erkrankung, die durch adenomatöse Polyposis des Dick- und Dünndarms, Hamartome des Skeletts und verschiedene Weichteiltumore gekennzeichnet ist.
Das Risiko für Darmkrebs bei Erwachsenen mit Gardner-Syndrom liegt bei nahezu 100 %.1,3 Die Form der CHRPE-Läsionen bei diesen Patienten unterscheidet sich jedoch deutlich von der Form, die bei Patienten mit klassischer CHRPE-Bildung oder Bärenspuren zu beobachten ist. Genauer gesagt sind diese Läsionen nicht rund wie die meisten CHRPE, sondern eher oval – fast fußballförmig.1
Wir waren zuversichtlich, dass unser Patient nichts anderes als klassische Bärenspuren hatte. Außerdem hatte er keine familiäre adenomatöse Polyposis oder andere Dickdarmprobleme in der Vorgeschichte. Wir erklärten unserem Patienten den Befund, stellten ihm ein Brillenrezept aus und baten ihn, jährlich wiederzukommen.
1. Gass JD. Stereoscopic Atlas of Macular Disease: Diagnosis and Treatment, 4th ed. St. Louis: Mosby; 1997:805-9.
2. Regillo CD, Eagle RC Jr, Shields JA, et al. Histopathologic findings in congenital grouped pigmentation of the retina. Ophthalmologie. 1993 Mar;100(3):400-5.
3. Buettner H. Congenital Hypertrophy of the Retinal Pigment Epithelium. In: Ryan SJ, Schachat AP, Murphy RP (eds). Retina, Vol. I–Medical Retina, 3rd ed. St. Louis: Mosby; 2000:634-9.
Antworten zum Quiz
1. b
2. a
3. b
4. a