Expertenkommentar
Dies ist ein ausgezeichneter Überblick über aVL, ein wichtiger Hinweis für Diagnose und Prognose. Da sie ein Modifikator sein kann oder in Verbindung mit anderen Diagnosekriterien verwendet wird, wird sie oft übersehen.
Im akuten Stadium kann die aVL zur Identifizierung von ST-Hebungsinfarkten (STEMI) an verschiedenen Stellen eingesetzt werden. Neben der bereits erwähnten Verwendung zur Identifizierung einer RV-Beteiligung bei inferioren STEMI und mittleren LAD-Läsionen gilt die aVL als hoch laterale Ableitung, die von diagonalen Gefäßen gespeist wird. Daher können akute Blockaden, die die proximale LAD mit anteriorem STEMI in V3, V4 und anteroseptaler Beteiligung in V1, V2 betreffen, auch eine hohe laterale Beteiligung in aVL aufweisen. Ich achte zwar immer auf Schock und instabile Arrhythmien, wenn ich Patienten ins Herzkatheterlabor bringe, aber wenn ich diese Verteilung bei einem anterioren STEMI sehe, bin ich aufgrund der Größe des von der Läsion betroffenen Myokards noch besorgter. Oft lege ich präventiv einen Zugang für eine mechanische Herzunterstützung, falls sich ein kardiogener Schock entwickelt. Auf diese Weise können die prognostischen Informationen aus der aVL die Praxis im Herzkatheterlabor verändern.
Nicht zu übersehen ist, dass die Ableitungen I und aVL bei einem isolierten hochlateralen STEMI in einem diagonalen Gefäß die einzigen Ableitungen mit ST-Hebung sein können. Diagonale 1 oder Diagonale 2 können große Gefäße sein und das einzige Gefäß mit akuter Thrombose darstellen. aVL ist die reziproke Ableitung zu den inferioren Ableitungen bei inferioren STEMI. In ähnlicher Weise kann sich die Ableitung III reziprok bewegen und eine ST-Senkung bei hochlateralen STEMI mit einer Anhebung in aVL zeigen.
So schön es auch ist, aVL zu haben, um inferiore STEMI zu prognostizieren, anteriore STEMI zu prognostizieren und isolierte hochlaterale STEMI zu identifizieren, können aVL ST-Segmente und T-Wellen aus nicht akuten Gründen abnormal sein, was zu einem Mangel an Spezifität führt. Der häufigste Grund für eine abnorme Repolarisation bei aVL ist die Belastung im Rahmen einer LVH. Wie können wir also akute reziproke Veränderungen von Belastungsmustern unterscheiden?
Eine häufig übersehene Information des EKGs ist der QRS-T-Winkel. Glücklicherweise wird dieser auf dem EKG oben angezeigt. Wenn der Winkel bei einer T-Wellen-Inversion größer als 100 Grad ist, deutet dies eher auf eine Belastung hin. Wenn außerdem das ST-Segment, das zur T-Welle führt, abwärts konkav ist (man denke an eine abwärts gerichtete Parabelkurve) und eine Asymmetrie der T-Welle aufweist, spricht dies ebenfalls eher für eine Zerrung. Wenn wir uns die EKGs des vorliegenden Falles ansehen, können wir sie noch ein wenig weiter zerlegen. Im Triage-EKG gibt es überhaupt keine ST-Strecken-Senkung. Vielmehr liegt eine Hebung mit einer T-Wellen-Inversion vor. Dies ist besorgniserregend. Das ST-Segment kann mit einer invertierten T-Welle isoelektrisch sein, aber es sollte keine ST-Hebung mit einer in die entgegengesetzte Richtung invertierten T-Welle vorliegen. Diese Morphologie wird häufig in den Sgarbossa-Kriterien verwendet, um einen STEMI bei Linksschenkelblock zu erkennen. Zusätzlich zu den hyperakuten T-Wellen dieses Triage-EKGs ist die aVL also sehr bedenklich. Im Follow-up-EKG können wir dynamische Veränderungen in den inferioren Ableitungen erkennen, die die Diagnose erhärten. Die aVL deutet aber auch auf eine RV-Beteiligung hin. Das ST-Segment ist abfallend, ohne Konkavität (eher linear nach rechts unten zeigend). Um die Diagnose einer RV-Beteiligung zu sichern, sehen wir auch die rechtsseitigen Ableitungen mit Hebung.
Es ist durchaus möglich, dass ein Patient mit LVH/Belastungsbefund auch einen akuten inferioren STEMI hat. Wie in diesem Fall erfolgreich demonstriert, ist die Aussage über serielle EKGs eine kritische Aussage. Selbst bei einem normalen EKG sollte eine gute Geschichte für einen Myokardinfarkt ein Serien-EKG und oft ein posteriores EKG veranlassen, um einen vermeintlich elektrokardiographisch stummen STEMI zu identifizieren. Denken Sie daran, dass STEMI eine EKG-Diagnose ist, die mit dem physiologischen Zustand eines akuten 100%igen Gefäßverschlusses korrelieren soll. In der Anfangsphase kann es zu stotternden Schmerzen beim Öffnen und Schließen des Gefäßes kommen, und das EKG kann es in diesem Moment nicht erfassen oder den STEMI im hinteren Bereich übersehen, wenn das hintere EKG nicht erhalten wird.
Zusammenfassend zur Bedeutung der aVL:
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Inferiorer STEMI: Bessere Diagnose, wenn aVL ein abgesenktes ST-Segment mit einer invertierten T-Welle aufweist
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Inferiorer STEMI: Schlechtere Prognose, wenn aVL ein abgesenktes ST-Segment mit einer invertierten T-Welle aufweist, da dies auf einen proximaleren RCA-Verschluss mit RV-Beteiligung hindeutet. Eine ST-Hebung in V1 oder V4 auf der rechten Seite kann ebenfalls hilfreich sein, um einen proximalen RCA-Verschluss mit Beteiligung des RV-Astes zu erkennen.
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Anteriorer STEMI: Ein STEMI in der aVL hat eine schlechtere Prognose, da er auf eine proximalere Beteiligung der LAD hindeutet.
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Isolierter hochlateraler STEMI: Eine ST-Hebung in den Ableitungen I und aVL kann auf einen akuten 100%igen Verschluss in einem diagonalen Gefäß hinweisen. Ableitung III kann eine reziproke ST-Senkung aufweisen.
Zur Unterscheidung zwischen Belastung und ischämischen Veränderungen in aVL:
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QRS-T-Winkel: Wenn er größer als 100 ist, kann er mit einer Zerrung übereinstimmen.
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ST-Segmentneigung: Ist sie konkav, ist eine Zerrung zu vermuten. Wenn das ST-Segment nach unten geneigt ist, das ST-Segment aber eher gerade verläuft, ist ein akutes Ereignis zu vermuten.
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T-Wellen-Inversion: Wenn die invertierte T-Welle asymmetrisch ist, kann dies eher auf eine Überlastung hindeuten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das EKG so viele Daten enthält. Die Mustererkennung kann ein wunderbares Instrument zur schnellen Diagnose eindeutiger Probleme sein. Aber eine methodische Auswertung des EKGs kann immer noch schnell erfolgen und erkennen, was andere vielleicht übersehen.