Der Satz „Keine zwei Schneeflocken sind genau gleich“ lässt Kinderherzen höher schlagen – aber was sagt die Wissenschaft zu dieser oft wiederholten Binsenweisheit? Kurz gesagt, es kommt auf den Maßstab an, wenn man Aussagen darüber trifft, wie ähnlich sich zwei Objekte sind.
Auf der visuellen Ebene kann man mit teuren Laborgeräten Schneeflocken erzeugen, die ziemlich identisch aussehen. Auf molekularer Ebene ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Schneeflocken identisch sind, so gering, dass sie als unmöglich gilt.
Wie bilden sich Schneeflocken?
Auf seiner Website erklärt Kenneth G. Libbrecht, Vorsitzender der Physikabteilung am California Institute of Technology und ein bekannter Schneeflockenfotograf, dass innerhalb einer Wolke kleine Veränderungen in der Mikroumgebung einer Schneeflocke deren Form beeinflussen. Das liegt daran, dass diese Veränderungen die Schneeflocke zwingen, zwischen zwei verschiedenen Kristallisationsprozessen zu wechseln – der Facettierung und der Verzweigung.
Die Facettierung, der einfachere der beiden Prozesse, erzeugt dank der atomaren Struktur der gefrorenen Wassermoleküle sechsseitige Prismen. Durch die Bildung dieser sechseckigen Prismen erhalten Schneeflocken ihre berühmte sechsseitige Symmetrie.
Einfache sechseckige Prismen, die durch Facettierung entstehen. Credit: snowflakes.com.
Verzweigung erzeugt die chaotischen Merkmale, die sich von den wachsenden hexagonalen Prismen weg erstrecken; Verzweigung geschieht, weil die Ecken dieser Prismen kristallisierenden Wasserdampf schneller anziehen als die flachen Oberflächen:
Grundlegendes Beispiel für Verzweigung. Credit: snowflakes.com.
Der wiederholte Wechsel zwischen diesen beiden Arten des Kristallwachstums bestimmt letztendlich die Eigenschaften einer Schneeflocke, erklärt Libbrecht:
Während sie durch die Wolken taumelt, erfährt der Kristall ständig wechselnde Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten, und jede Veränderung lässt die Arme ein wenig anders wachsen. Die genaue Form des endgültigen Schneekristalls wird durch den genauen Weg bestimmt, den er durch die Wolken genommen hat. Aber die sechs Arme haben alle den gleichen Weg genommen, so dass sie alle die gleichen Veränderungen zur gleichen Zeit erfahren haben.
Können zwei Schneeflocken einander ähnlich sehen?
Mit Hilfe von genau kontrollierten Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen in seinem Labor am Caltech hat Libbrecht viele „Designer-Schneeflocken“ geschaffen und kann sogar die endgültige Form bis zu einem gewissen Grad kontrollieren. Mit dieser Technologie hat er Schneeflocken erzeugt, die er als „eineiige Zwillinge“ bezeichnet:
Leibrich erklärte per E-Mail, dass er diese ähnlich aussehenden Flocken als „eineiige Zwillinge“ bezeichnet, weil sie, wie menschliche Zwillinge, „eindeutig ziemlich ähnlich aussehen, aber sie sind nicht *exakt* identisch.“ Obwohl sie qualitativ ähnlich aussehen, würde diese Ähnlichkeit nachlassen, sobald man anfängt, sie in einem immer kleineren Maßstab zu betrachten. Libbrecht sagte:
Aus der Sicht, unter dem Mikroskop, könnte man sagen, sie sind im Wesentlichen identisch. Aber wenn man sich die molekulare Ebene anschaut, sind sie bei weitem nicht identisch. Wenn man also von identischen Schneeflocken sprechen will, muss man genau definieren, was man unter identisch versteht.
Es ist also denkbar, dass zwei Schneeflocken identisch aussehen, aber das ist weit davon entfernt, auf molekularer Ebene identisch zu sein. Die Vorstellung, dass zwei Schneeflocken „gleich“ sind, hängt also davon ab, wie der Begriff definiert wird.
Was passiert auf molekularer Ebene?
Auf molekularer Ebene ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Flocken identisch bilden, mathematisch unmöglich, wenn man bedenkt, dass es praktisch unendlich viele Möglichkeiten gibt, eine Schneeflocke zu erzeugen, so Liebrich:
Die Zahl der möglichen Anordnungen der Zweige und Seitenäste ist weit, weit, weit größer als die Gesamtzahl der Schneeflocken, die jemals auf die Erde gefallen sind.
Zusätzlich zu der Unmöglichkeit, dass außerhalb des Labors zwei völlig identische Mikroumgebungen für zwei Schneeflocken entstehen können, sind auch die chemischen Bausteine, aus denen eine Schneeflocke besteht, wahrscheinlich nicht zu 100 Prozent identisch. Das liegt daran, dass es in der Natur einen kleinen Anteil von Sauerstoff- und Wasserstoffisotopen gibt, die etwas schwerer sind als ihre häufigere Form. Die Vorstellung, dass die anomalen Wassermoleküle, die aus diesen schwereren Atomen bestehen, in zwei verschiedenen Schneeflocken an der gleichen Stelle vorhanden sein könnten, ist sowohl unmöglich zu beweisen als auch unvernünftig anzunehmen.
Was bedeutet es überhaupt, identisch zu sein?
Die Frage, ob zwei Objekte buchstäblich identisch sein können, hat eine lange Geschichte sowohl in der Philosophie als auch in der theoretischen Physik. Viele Philosophen halten die Frage nach identischen Schneeflocken für sinnlos, da keine zwei Objekte – nicht einmal Atome – wirklich identisch sein können.
Diese Behauptung wird im Volksmund als „Leibnizsches Gesetz“ bezeichnet und ist seit Jahrhunderten in verschiedenen Formen eine heftig diskutierte philosophische Frage. Während das Konzept auf alles anwendbar ist, was als Objekt betrachtet wird, bieten Schneeflocken eine attraktive Möglichkeit, die Unwahrscheinlichkeit wirklich ununterscheidbarer Objekte zu veranschaulichen, denn obwohl sie alle aus Wassermolekülen aufgebaut sind, erzeugt jede einzelne Schneeflocke extrem komplizierte und komplexe Muster.
Die visuelle Ähnlichkeit zwischen Schneeflocken kann nur unter extrem kontrollierten Laborbedingungen oberflächlich erreicht werden. Daher stufen wir die Behauptung, dass keine zwei Schneeflocken exakt gleich sind, als wahr ein.