Im Alltag hört man häufig, dass jemand sagt: „Ich hatte gerade einen Gedanken“ oder „Der Gedanke kam mir gerade in den Sinn.“ Zum Beispiel kann man einen Gedanken über ein Ereignis haben, das während des letzten Super Bowls stattgefunden hat. Gedanken können wie eine Idee, eine Erinnerung, ein Bild oder ein Lied sein. Sie sind in der Regel kurzlebige, diskrete Ereignisse, im Gegensatz zu kontinuierlichen Ereignissen wie dem ständigen Rauschen von Klimaanlagen oder Regen. Wir alle erleben Gedanken und haben kein Problem damit, sie zu identifizieren und mit anderen darüber zu sprechen.
So alltäglich das Reden über Gedanken auch sein mag, was Gedanken sind, bleibt aus neurowissenschaftlicher Sicht rätselhaft. Sie werden sicherlich durch die Gehirnfunktion verursacht, aber wir haben noch keine solide Vorstellung davon, was es mit der Gehirnfunktion auf sich hat, die sie hervorruft. Sind es die besonderen Arten von Neuronen, die beteiligt sind? Die Art und Weise, wie eine Population von Neuronen feuert? Erfordern bewusste Gedanken die Aktivierung spezifischer Netzwerke von Hirnregionen oder von Bahnen (die Informationsautobahnen, über die Hirnregionen miteinander kommunizieren können)? Erfordern Gedanken die Aktivierung von Wahrnehmungsbereichen des Gehirns (eine umstrittene Vorstellung)? Beim gegenwärtigen Stand des wissenschaftlichen Verständnisses wissen wir es einfach nicht.
Es scheint, dass, bevor man einen bewussten Gedanken erlebt, unbewusste Gehirnprozesse im Hintergrund arbeiten, um den Gedanken zu erzeugen. An diesem undurchsichtigen Prozess scheinen unbewusste Darstellungen und Berechnungen beteiligt zu sein. Der große Hermann von Helmholtz bezeichnete diese hinter den Kulissen ablaufenden Prozesse als „unbewusste Schlussfolgerungen“, und Wilhelm Wundt, der Vater der experimentellen Psychologie, nannte das bewusste Denken eine „Apperzeption“ auf hohem Niveau, weil es mehr unbewusste Analysen und Interpretationen beinhaltet als die „normale Wahrnehmung“, die für ihn unbewusst ablaufen konnte.
Edward Chace Tolman – der große Experimentator und Theoretiker der Psychologie – war der erste, der nachweisen konnte, dass Gedanken (z. B. Erinnerungen an den Aufbau eines Labyrinths) das Handeln beeinflussen. Tolman wies nach, dass das Verhalten der Ratte beim Lösen eines Labyrinths nicht nur auf äußere Hinweise zurückzuführen ist, sondern Informationen erfordert, die sich nur im Kopf der Ratte befinden, Informationen, die er als „kognitive Landkarte“ bezeichnete.
Der schicke Begriff für Gedanken in der Kognitions- und Neurowissenschaft ist „mentale Repräsentation“, was nach wie vor ein heikler Begriff ist, weil einige Gedanken (z. B. Stimmungen, die Wahrnehmung von Tinnitus) nicht sehr viel mit „Repräsentation“ zu tun zu haben scheinen. (Es gibt auch eine Debatte darüber, ob Gedanken in einem wahrnehmbaren oder nicht- wahrnehmbaren Format vorliegen.) Tolman war der erste, der systematisch nachwies, dass Gedanken notwendig sind, um offenkundiges Verhalten zu erklären.
Nach Tolman zeigte der große kognitive Psychologe Roger Shepard, dass Menschen diese mentalen Repräsentationen tatsächlich manipulieren können, wie im Fall der mentalen Rotation – wenn man ein mentales Bild mental dreht. (Die Pioniere Gallistel, Barsalou und Kosslyn sowie andere haben ebenfalls zu unserem wissenschaftlichen Verständnis dessen, was ein Gedanke ist, beigetragen). Bei Shepards Experimenten drehten die Versuchspersonen das links abgebildete würfelförmige Objekt gedanklich.
Hier ist eine Demonstration der mentalen Rotation aus Pinkers How the Mind Works: Stellen Sie sich die Zahl 3 vor und drehen Sie sie um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn. Legen Sie nun das gedrehte Objekt auf den Buchstaben V. Sie sollten nun den Gedanken an ein Herz haben. Bei vielen von Ihnen wird dieser Gedanke vielleicht einen weiteren Gedanken auslösen – den, dass der Valentinstag vor der Tür steht.
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