Wendepunkte ^
Ein Wendepunkt führt die Handlung in eine neue, andere und unerwartete Richtung. Dies kann durch eine Entscheidung, eine Information, ein Ereignis oder eine Erkenntnis geschehen. Er schließt eine Erzähleinheit ab und schafft gleichzeitig eine neue Erzählsituation.
Die Funktion von Wendepunkten ist es, die lineare Handlungsentwicklung aufzubrechen und das Interesse des Publikums zu festigen. Damit eine Geschichte nicht vorhersehbar wird, ist es wichtig, dass sie nicht direkt und geradlinig voranschreitet und endet, sondern sich auf Umwegen zu ihrer Auflösung bewegt.
Jede Wendung wirft eine neue Frage auf, die in der folgenden Entwicklung beantwortet werden muss: Welche Auswirkungen haben sie auf den weiteren Verlauf des Films?
Die Zeitspanne zwischen dem Aufstellen einer Frage und ihrer Auflösung hängt von der Veränderung ab. Während sich der Spannungsbogen einer kleinen Veränderung über nur eine Szene erstrecken kann, dauert die Auflösung der zentralen Frage bis zum Ende des zweiten Aktes.
Hauptwendepunkte ^
Ein Handlungsstrang hat bis zu fünf zentrale Wendepunkte. Diese Punkte lenken die Handlung so stark um, dass sie ihren Verlauf ändert: eine positive Entwicklung wird negativ und eine negative Entwicklung wird positiv. Die extremste Form eines Wendepunkts wird als Umkehrung bezeichnet.
Die wichtigsten Wendepunkte sind klar definiert und strukturell festgelegt: einleitendes Ereignis, Handlungspunkt 1, Knackpunkt 1, Mitte, Knackpunkt 2, Handlungspunkt 2, Höhepunkt und letzte Wendung. Die beiden Handlungspunkte teilen die drei Akte. Sie bewirken also immer eine große Veränderung innerhalb der Handlung. Midpoint und Climax hingegen müssen nicht unbedingt eine große Veränderung auslösen. Sie bieten lediglich die Chance für eine Veränderung/Wendung. Dies bedeutet, dass eine Geschichte je nach ihrer individuellen Entwicklung zwei bis vier große Wendungen durchläuft. Die Gliederung der Handlung durch die Verwendung von fünf Hauptwendepunkten führt zu unterschiedlichen strukturellen Ausprägungen einer Filmhandlung.
Jeder Handlungsstrang enthält seine eigenen Wendepunkte. Der Wendepunkt der A-Storyline bestimmt die Struktur der gesamten Handlung. Die Wendepunkte der anderen Handlungsstränge verbinden die verschiedenen Handlungsstränge miteinander. Auf diese Weise hat der Wendepunkt eines Handlungsstrangs Auswirkungen auf einen anderen Handlungsstrang. Der Wendepunkt eines Nebenhandlungsstrangs kann eine Veränderung/Wende im Haupthandlungsstrang bewirken. Die Wendepunkte verschiedener Handlungsstränge werden auch ohne direkte Verknüpfung zu einer strukturellen und dramaturgischen Einheit der Geschichte gebündelt. Indem man sie jedoch etwas voneinander entfernt platziert, werden sie miteinander verbunden, ohne dass ihre Übergänge verschwimmen.
Mikrowendepunkte ^
Neben den Hauptwendepunkten besitzt eine Geschichte auch eine Reihe von Mikrowendepunkten, die lediglich graduelle Veränderungen darstellen. Im Prinzip ist es möglich und wünschenswert, jede Sequenz, Szene, Situation und Handlung mit einer Veränderung zu beenden und damit in den nächsten Teil des Films überzuleiten. Die Anzahl der Mikro-Wendepunkte ist variabel und ihre Position flexibel.
Interner und externer Wendepunkt ^
Generell setzt sich eine Wende aus zwei Teilen zusammen: einer Unterbrechung einer internen Handlung (interner Wendepunkt) und einer daraus folgenden Neuausrichtung des externen Handlungsverlaufs (externer Wendepunkt). Eine Veränderung, eine Offenbarung oder Enthüllung kann z.B. dazu führen, dass die Hauptfigur ihren Plan ändert.
Anregende Begebenheit ^
Die anregende Begebenheit (auch: anregendes Ereignis, Aufhänger, Aufruf zum Abenteuer, Angriffspunkt, Katalysator) bringt die Handlung ins Rollen und setzt den ersten Handlungspunkt. Er ist mit dem ersten Plotpoint verbunden, indem er dessen negative und positive Vorstufe zeigt und so den ersten Akt in zwei Hälften teilt. Die Protagonistin erhält ihren Anstoß durch das auslösende Ereignis. Hier wird sie gezwungen, sich mit einer bestimmten Aufgabe zu befassen. Sie wird aus ihrem gewohnten Alltag herausgerissen und in Alarmbereitschaft versetzt.
Plot Point 1 ^
Der Plot Point 1 (auch: break into act II, first revelation, point of no return) trennt den ersten vom zweiten Akt. Er führt die Handlung in eine aufsteigende positive oder in eine absteigende negative Entwicklung. Idealerweise verkörpert er den besten oder den schlechtesten Fall für den Protagonisten, je nach seiner Exposition. Damit legt der Plot Point 1 die zentrale Frage des Films fest, die den gesamten zweiten Akt beeinflussen wird.
Pinch Point 1 ^
Der erste Pinch Point tritt nach dem ersten Viertel des zweiten Aktes auf – also nach ca. 3/8 der Handlung. Er liefert dem Protagonisten neue Anhaltspunkte und offenbart den Hauptkonflikt der Geschichte. Gleichzeitig dient er als Erinnerung an die Macht des Antagonisten, indem er den Protagonisten den „Zwicker“ der antagonistischen Kraft spüren lässt. Auf diese Weise bereitet er die nächsten 1/8 der Geschichte vor.
Mittelpunkt ^
Wie der Name schon sagt, liegt der Mittelpunkt in der Mitte des zweiten Aktes und teilt die gesamte Geschichte in zwei Hälften. Er bietet einen möglichen Wendepunkt. Das bedeutet, dass an diesem Punkt der Geschichte eine Veränderung/Wendung eintreten kann, aber nicht muss. Es ist auch möglich, dass die positive aufsteigende oder die negative absteigende Entwicklung bis zum Handlungspunkt 2 fortschreitet.
Pinch Point 2 ^
Der zweite Pinch Point spiegelt die erste Pinch-Szene wider – sowohl inhaltlich als auch strukturell. Sie findet nach dem dritten Viertel des zweiten Aktes – nach ca. 5/8 der Handlung – statt und ruft den zentralen Konflikt noch einmal in Erinnerung. Gleichzeitig ist die zweite „Prise“ ein Vorgeschmack auf die kommenden Konfrontationen und erinnert sowohl den Protagonisten als auch das Publikum daran, was auf dem Spiel steht. Zusammen bilden die beiden „pinch“-Szenen die strukturelle „Zange“ des Films.
Plot Point 2 ^
Wie der Plot Point 1 stellt auch der Plot Point 2 (auch: Bruch in Akt III, dritte Offenbarung) einen obligatorischen Wendepunkt der Gesamthandlung dar. Er trennt den zweiten vom dritten Akt und bildet das Ende des zentralen Spannungsbogens. Er liefert die (vorläufige) Lösung der durch den Plot Point 1 aufgeworfenen zentralen Frage.
Climax ^
Die Endspannung des Films kulminiert im Klimax (auch: Showdown, Kampf, Auflösung). Er teilt den dritten Akt in zwei Hälften. Der Höhepunkt kann das Ergebnis des zweiten Handlungspunktes bestätigen oder umkehren. Der Höhepunkt ist also ein Moment, in dem die Handlung endgültig entschieden wird.
Im Gegensatz zu den anderen Wendepunkten ist der Höhepunkt nicht nur strukturell festgelegt. Als Moment höchster Spannung im Film enthält er auch eine inhaltliche Dimension: Er ist das Ergebnis des Showdowns, in dem die Protagonistin existenziell geprüft wird.
Hier muss die Protagonistin beweisen, was sie gelernt hat: Es ist der ultimative Engpass, den sie passieren muss, um ihr ‚Wollen‘ zu erreichen. Der Höhepunkt ist der Trichter, in dem alle Figuren und Handlungsstränge zusammengeführt werden. Hier bündeln sich alle Energien, hier prallen alle unvereinbaren Ziele, Interessen und Werte der Konfliktparteien aufeinander. Alles, was während des gesamten Films angelegt wurde, zahlt sich nun aus. Die Protagonistin wird in ihrem ureigenen Wesen, ihrem Geist und ihrem Körper gleichzeitig herausgefordert. Ihr Bewusstsein und ihre Wahrnehmung werden geschärft. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird durch den Einsatz von Spannung gesteigert, indem dem Protagonisten Informationen vorenthalten werden.
Durch die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und Zerbrechlichkeit spürt der Protagonist den Sinn und Wert des Lebens. Er muss seine geschärften Sinne und sein neu erworbenes Wissen über sich und die Welt einsetzen. Nun müssen sich all seine bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen in der realen Welt bewähren. In diesem Punkt sind sich Protagonist und Antagonist am ähnlichsten, und doch offenbart dieser Wertekonflikt ihren entscheidenden Unterschied. Das Thema des Films und seine Wahrheit werden dem Zuschauer sofort offenbart. Jetzt wächst die Geschichte über ihre erzählerischen – d.h. zeitlichen, räumlichen und individuellen – Grenzen hinaus und bietet universelle Zusammenhänge an.
Wenn gesagt wird, dass das Ende eines Films das wichtigste Element ist, ist eigentlich der Höhepunkt gemeint. Er ist der konzentrische Punkt des Films – von hier aus strahlt alles aus: vorwärts und rückwärts. Der Höhepunkt geht über in die Katharsis des Protagonisten und des Publikums.
Ein „Anti-Klimax“ liegt vor, wenn die Erwartungen an den Höhepunkt nicht erfüllt werden und der Höhepunkt einfach ausbleibt.
Last Twist ^
Anstatt des offensichtlichen Endes der Geschichte kann es ganz am Ende, oft in der letzten Szene oder in den allerletzten Einstellungen, eine völlig unerwartete Wendung geben: den Last Twist.
Ein Paradebeispiel für eine letzte Wendung ist, dass das vermeintlich tote Monster gar nicht tot ist…
Umkehrung ^
Wenn sich am Ende des zweiten bzw. dritten Aktes die Ereignisse auf eine Auflösung zuzuspitzen beginnen, werden Wendepunkte zu Umkehrungen. So kann sich die Handlung am Plotpoint 2, dem Höhepunkt oder der letzten Wendung, plötzlich in ihr Gegenteil verkehren, so dass sich der Protagonist auf einer emotionalen Achterbahn befindet. Aristoteles nannte diesen Extremfall eines Wendepunktes eine Peripetie.
Weiteres Lesen
Field, Syd: Screenplay: The Foundations of Screenwriting. 2005.